Wie Die Menschen In Bad Säckingens Japanischer Partnerstadt Nagai Die Corona-Krise Erleben

BADISCHE ZEITUNG
Freitag, 15. Mai 2020
BZ-Serie (5) :
Von Michael Gottstein

BAD SÄCKINGEN/NAGAI. Gerade in Zeiten von Not und Krise lohnt sich ein Blick über den Tellerrand. Deshalb zeigen wir in der BZ-Serie „Wie geht’s unseren Freunden?“, wie die Menschen in Bad Säckingens Partnerstädten mit der Krise umgehen, welche Einschränkungen sie im Alltag hinnehmen müssen und welche Sorgen und Hoffnungen sie haben. Heute: Nagai in Japan.
Zurückhaltender Umgang mit Tests

Die Zeit von Ende April bis Mitte Mai wird in Japan als „Goldene Wochen“ bezeichnet. Dann stehen viele Bäume in voller Blüte, und die Japaner nehmen gerne Urlaub, um im eigenen Land zu verreisen. Doch wegen der Corona-Krise verdienen diese Wochen ihr schönes Attribut derzeit nicht, wenngleich Japan weniger unter dem Virus leiden als andere Länder – so scheint es zumindest. Bis Donnerstag zählte die John Hopkins University gut 16 000 bestätigte Fälle, 8900 Menschen sind geheilt und 678 gestorben. Der Epidemiologe Kenji Shibuya sprach die Vermutung aus, dass in Japan weit mehr Menschen infiziert seien, wobei die relativ geringe Zahl von Todesfällen eher gegen eine hohe Dunkelziffer spricht.
Tatsache ist jedenfalls, dass Japan sehr zurückhaltend mit den Tests umgeht. In der Präfektur Yamagata, in der Nagai liegt, wurden seit Ende Januar 2525 Tests vorgenommen, mit denen man 69 Corona-Fälle diagnostizierte. Bedenkt man aber, dass die Präfektur gut eine Million Einwohner zählt, darf man an der Aussagekraft dieser Statistik durchaus gewisse Zweifel haben; für die 26 000 Einwohner zählende Stadt Nagai waren keine Zahlen zu bekommen. Nachrichten von überlasteten Kliniken gibt es aus der Präfektur nicht, auch wenn die Zahl der Beatmungsgeräte, hochgerechnet auf die Einwohnerzahl, geringer ist als in Italien. Derzeit sind in Yamagata fünf Corona-Patienten in stationärer Behandlung, und die Leerstandsquote im zentralen Krankenhaus der Präfektur liegt bei über 90 Prozent.
Keine Bußgelder bei Verstößen

Vor diesem Hintergrund ging Japan einen anderen Weg als China und viele europäische Staaten und versuchte zunächst, durch die Rekonstruktion von Infektionsketten sowie lokal begrenzte Maßnahmen die Verbreitung des Virus zu stoppen. Doch am 7. April rief die Regierung den Notstand für Tokio und sechs andere Präfekturen aus, was dramatischer klingt, als es ist. Es gibt keine drastischen Ausgangsbeschränkungen wie in Frankreich, vielmehr appelliert die Regierung an die Eigenverantwortung der Bürger und bittet sie, zu Hause zu bleiben und die Grenzen der Präfektur nicht zu verlassen. Bußgelder bei Verstößen sind jedoch nicht vorgesehen. Da der Staat traditionell eine wichtige Rolle im Wirtschaftsleben spielt, brachte die japanische Regierung ein riesiges Konjunkturpaket im Umfang von rund 20 Prozent der Wirtschaftsleistung auf den Weg.
Absage von Festen

Viele Maßnahmen in Nagai ähneln denjenigen in Bad Säckingen: Die Bürger werden gebeten, Abstand zu halten, auf Hygiene zu achten und Schutzmasken zu tragen, und größere Veranstaltungen wurden abgesagt, darunter auch das für den Tourismus wichtige Weiße-Azaleen-Fest, das Fest des Schwarzen Löwen und das Sakura-Festival. Stadtbibliothek, Gemeindezentrum und Sporteinrichtungen sind bis zum Monatsende geschlossen. Die städtische Grund- und Mittelschule ist bis Sonntag, 24. Mai, geschlossen, danach soll der Präsenzunterricht wieder etappenweise beginnen. Die Präfekturschule wird bereits seit Anfang dieser Woche schrittweise geöffnet.
Das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie vergibt oder vermittelt Unternehmen zinslose Kredite, und Lohnausfälle werden zum großen Teil kompensiert – auch wenn Mitarbeiter Urlaub nehmen müssen, um Kinder, die nicht mehr in Kindergärten oder Schulen gehen können, zu betreuen. Auf lokaler Ebene unterstützt der Sozialrat der Stadt Menschen mit Notgeldern, wenn sie zum Beispiel wegen Arbeitslosigkeit Schwierigkeiten haben, ihre Lebenshaltungskosten zu decken.
Der Freundeskreis Nagai-Bad Säckingen hat die Japan-Reise, die vom 29. Juli bis zum 11. August während der Olympischen Spiele stattfinden sollte, abgesagt.

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